Erzdiözese München und Freising
Fachbereich Weltanschauungsfragen
Informationen zu religiösen und weltanschaulichen Strömungen

Verschwörungstheorien

Hinweise und Tipps

für den Umgang mit Corona-Leugnern und Anhängern von Verschwörungstheorien

Die Pandemie hat uns alle in eine besondere Ausnahmesituation geworfen, die viele Fragen, Konflikte und Diskussionen hervorbringt und nicht wenige verzweifeln lässt. Den Fachbereich erreichen immer mehr Beratungsanfragen von Ratsuchenden, die ohnmächtig erleben müssen, wie Angehörige und Freunde sich immer weiter entfremden: Corona-Leugner bombardieren ihre Familie mit Vorwürfen, Querdenker provozieren mit vermeintlichen „Fakten“. Partnerschaften stehen vor Zerreißproben und Kinder reiben sich verwundert die Augen, weil bisher technisch wenig interessierte Elternteile auf einmal sich nicht nur bestens mit Messenger-Diensten und Sozialen Medien auskennen, sondern praktisch rund um die Uhr die Nachrichten checken und "Informationen" teilen.

Auf dieser Seite haben wir aus unserer Erfahrung heraus einige Hinweise und Empfehlungen zusammengestellt, die hilfreich sein können für den Umgang mit überzeugten Verschwörungstheoretikern. Ziel aller Bemühungen soll es zunächst sein, den Kontakt zu Angehörigen und Freunden möglichst nicht abbrechen zu lassen. So schwer es ist und so kompliziert das neue Miteinander auch sein mag: wenn es irgendwie geht, sollte man versuchen, die Konflikte möglichst zu umgehen und auf Provokationen zu verzichten, um den Angehörigen bzw. Freund nicht zu verlieren.
Allerdings muss auch erwähnt werden: wenn man selbst nicht mehr kann, wenn die Situation völlig ausweglos und verfahren ist, kann auch eine Pause oder ein Kontaktabbruch sinnvoll sein und die einzig gesunde Entscheidung darstellen. Die Entscheidung liegt dabei ganz bei Ihnen!


Was kann ich tun?

Die Welt der Verschwörungstheorien ist Ihnen unbekannt und Sie fühlen sich fremd in dieser Welt?
Sie sind in großer Sorge um einen vertrauten Menschen und fühlen sich hilflos, ohnmächtig und haben kein Verständnis für dessen Ansichten, Äußerungen und Verhalten?
Welche Strategien gibt es für den Umgang mit Verschwörungstheorien und warum ist es so schwierig, andere zu bewegen, ihre jeweiligen Glaubenssätze zu hinterfragen?

Die Welt verändert sich ständig. Wir verändern uns ständig. Die Beziehungen zu anderen Menschen verändern sich. Jede(r) geht anders um mit den Herausforderungen des Lebens und den Veränderungen, die sich dadurch ergeben. Man knüpft einerseits neue Beziehungen und man löst andererseits bisherige Kontakte, weil die Lebensentwürfe nicht mehr zueinander passen und die Menschen sich in verschiedene Richtungen verändern. Dies ist normal und auch völlig in Ordnung. Wenn sich aber Angehörige, Partner oder Freunde radikalisieren und man unter der neuen Distanz leidet, fällt es schwer, das Verhalten mit den Veränderungen zu akzeptieren. Erst recht, wenn man die Gründe des Anderen nicht versteht und sich Sorgen um dessen Wohlergehen macht, fragt man sich, wie man mit der neuen Situation umgehen soll. Steht einem die Person sehr nahe, gerät man dadurch selbst in emotionale, physische oder finanzielle Unsicherheiten.

Die grundlegende Regel lautet: Den Kontakt möglichst nicht abreißen lassen und sich erreichbare Ziele setzen!
Alles, was dazu führen könnte, dass sich die Beziehung verschlechtert, sollte man möglichst meiden.
Die Ansichten können noch so schräg sein, die Verhaltensweisen mögen noch so verrückt sein: ein Mensch, der in die Welt der Verschwörungstheorien abtaucht, dessen Ansichten immer radikaler werden, ist mit "gutem Zureden" oder "intelligenten Argumenten" und "harten Fakten" nicht zu erreichen. Meist erreicht man sogar nur das Gegenteil: je konfrontativer man sich verhält und je mehr man versucht, mit rationalen Argumenten gegen die "alternativen Fakten" vorzugehen, desto schwieriger kann die Beziehung sich gestalten und desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, den Gesprächsfaden zu verlieren. Schlimmstenfalls kann der Kontakt völlig abbrechen.

Die „Goldene Regel“ lautet daher: Wahrnehmen und in Kontakt bleiben – die Beziehung nicht abreißen lassen – Veränderungen aushalten ohne zuzustimmen – informieren und recherchieren – Verhalten spiegeln – eigene Haltung zeigen – empathisch und aufmerksam bleiben – strategisch denken und Hilfe suchen.

1. Weltbildveränderungen beim Gegenüber frühzeitig wahr- und ernst nehmen

Meist bahnen sich Veränderungen im Verhalten und in den Ansichten eines Menschen langsam an. Zu Beginn bemerkt man vielleicht, dass da irgendetwas anders ist, kann es aber selbst nicht richtig fassen oder beschreiben. Dennoch sollte man die ersten Anzeichen ernst nehmen und sorgfältig beobachten.
Es kann helfen, sich frühzeitig Notizen zu machen, was einem merkwürdig erscheint. Im Laufe der Zeit ergibt sich so vielleicht ein deutlicheres Bild.
Auch ist es nützlich, wenn man seine Beobachtungen mit anderen teilt, die den Angehörigen bzw. Freund kennen: Gemeinsam fallen einem oft mehr und kleinere Veränderungen auf.

2. Sich differenzierte Informationen über die neue Überzeugung verschaffen – strategisch denken.

Man sollte nicht erst im Konfliktfall nach Informationen suchen. Schon wenn erste Anzeichen einer sich verändernden Weltsicht bemerkbar werden, ist es gut, sich Rat einzuholen und Informationen bei einer Fachstelle zu beschaffen. Beratungsstellen können Ihnen aufgrund ihrer Kenntnisse über Verschwörungstheorien in Situationen der Verunsicherung und der Sorge um einen Menschen Unterstützung zur Aufklärung und Vorbereitung anbieten. Wenn man nicht weiß, wie man mit Verschwörungstheoretikern umgeht, kann man im Beratungsgespräch gemeinsam nach Entlastung und Problemlösungen suchen.

3. Gespräche wollen gut vorbereitet sein.

Wenn Ratsuchende sich an eine Beratungsstelle wenden, ist meist schon die Situation eskaliert. Weil man den Anderen überzeugen wollte oder weil die neuen Verhaltensweisen zu Konflikten geführt haben, kriselt es in der Beziehung. Im Extremfall ist der Gesprächsfaden sogar abgerissen.
Besteht die Möglichkeit, den Kontakt wieder vorsichtig aufzunehmen, ist es sinnvoll, Begegnungen und Gespräche gut vorzubereiten. In Gedanken kann man sich auf eine Begegnung einstimmen und überlegen, welche Themen geeignet sind (und welche nicht), wie man jeweils reagieren könnte und was man sonst noch zu beachten hat.
Begegnet man dem Anderen mit Wertschätzung und Interesse, weckt das vielleicht positive Gefühle der Verbundenheit, die wiederum den Zugang erleichtern helfen. Auch wenn man sich angegriffen fühlt und provoziert wird, sollten harsche Kritik, pauschale Urteile oder Diffamierungen unbedingt vermieden werden. Genauso sind herablassende oder belehrende Vorträge wenig zielführend.
Einfühlungsvermögen und Geduld sowie Diplomatie sind nicht immer leicht aufzubringen. Meist lohnen sich aber diese Mühen!

4. Viel erfragen. Die eigene Überzeugung sparsam, aber klar anbieten.

Radikale Anhänger von Verschwörungstheorien erreicht man mit Gegenargumenten nicht mehr. Anstatt diese mit wissenschaftlichen Fakten und guten Argumenten zu überhäufen, erscheint es vielfach zielführender, gemeinsam die Situation zu erörtern. Schildern Sie, wie es Ihnen mit den neuen Verhalten geht, wie Sie sich fühlen. Versuchen Sie anhand konkreter Beispiele aufzuzeigen, wie belastend Sie die Situation erleben, wie eingeschränkt die Gesprächsthemen und die Besuche geworden sind.
Es ist sinnvoll, zunächst einmal viele Fragen zu stellen. Wenn Sie ernsthaft Interesse zeigen, wenn Sie ernsthaft versuchen, den/die Betroffene(n) zu verstehen, gelingt es Ihnen vielleicht, den Kontakt zu verbessern und sind wieder Gespräche möglich.
Wenn Sie die Quellen der Informationen kritisch hinterfragen, wenn Sie versuchen Zweifel zu säen oder irreführende Verallgemeinerungen zu bemängeln, seien Sie dabei immer äußerst vorsichtig und einfühlsam. Menschen, die noch für ein kritisches Gespräch offen sind, können vielleicht noch eher erreicht werden. Fühlt sich der/die Betroffene allerdings in die Enge getrieben, verfestigt sich aller Voraussicht nach der Glaube von der großen Verschwörung: Einen Fehler einzugestehen fällt schließlich oft schwer und kann als Angriff verstanden werden, der letztlich das Selbstwertgefühl mindert.

5. Warum könnten die Verschwörungen so attraktiv sein?

Je mehr man versteht, warum jemand an derartige Verschwörungen glaubt, desto leichter kann man den Kontakt pflegen. Wenn man weiß, welche Themen besonders heikel sind, kann man Gespräche geschickt in eine andere Richtung lenken. Beachten Sie: Für den Anhänger macht jede seiner Sichtweise und jede seiner Handlung Sinn, auch wenn Sichtweisen und Handlungen für Außenstehende noch so verrückt erscheinen mögen.
Deshalb kann es hilfreich sein, die Gesamtsituation zu bedenken: Vielleicht gab es (gibt es) im privaten oder beruflichen Umfeld belastende Ereignisse. Durch den Glauben an Verschwörungen scheint es auf einmal Gründe dafür zu geben, warum man so bedrängt und belastet ist. Verschwörungstheorien geben vor auch das erklären zu können, was eigentlich nicht erklärbar ist. Verschwörungstheorien weisen eindeutige Schuld zu und helfen (vordergründig) bei der Bewältigung der Krise.
Vielleicht ist der Glaube an Verschwörungen eine Art Problemverschiebung, etwa nach dem Motto: Ich kann eh nichts bewirken - wir sind doch eh alle Spielball geheimer Machenschaften.
Vielleicht sind Ängste vorhanden (Angst vor dem Tod, Angst vor der Impfung), ist es ein Gefühl von Ohnmacht und Ausgeliefertsein, vielleicht ist es eine innere Leere, Neid oder das Gefühl der Einsamkeit, warum ein völlig neues Weltbild entsteht, in dem Mächtige über geheime Kräfte und Befugnisse verfügen, bestimmte Personengruppen oder (Religions)Gemeinschaften beschuldigt werden und die ungeheuerlichsten Zusammenhänge behauptet werden.
Anstatt über das Für und Wider, über Wahrheit und Falschheit zu diskutieren, könnte man überlegen, wie man den Menschen in seiner bedrückenden Situation helfen und Unterstützung anbieten kann.

6. Strategisches Team bilden

Gerade in belastenden Momenten ist es gut, nicht allein zu sein. Ein (strategisches) Team hat mehr Möglichkeiten, differenzierte Zugänge und verschiedene Fähigkeiten zu finden, um im Kontakt zu bleiben. Partner, Kinder, Familienangehörige oder Freunde stehen in unterschiedlichen Beziehungen und können so zu einer Vielfalt von Sichtweisen beitragen. Weitere Personen, mit denen Sie gemeinsam überlegen können und mit denen Sie sich abwechseln können in der Kontaktaufnahme, helfen Spannungen, Enttäuschungen und Sorgen leichter zu bewältigen.

7. Extremistische Positionen und Rassismus

Kritisch wird es, wenn radikale Positionen vertreten werden oder rassistische und und menschenverachtende Meinungen geäußert werden. Hier heißt es, zunächst ruhig und aufmerksam zu bleiben. Hören Sie gut zu, um mehr über Hintergründe, Organisatoren und Netzwerke zu erfahren.
Folgende Fragen können Ihnen weiterhelfen bei der Recherche:

  • Wie stark ist die betreffende Person schon verstrickt in Ideologie und in die Netzwerke?
  • Wie groß ist die Bereitschaft, gegen Gesetze und Auflagen zu verstoßen?
  • Gibt es Kontakte zu extremistischen oder populistischen Gruppierungen?
  • Sind rechtliche Konsequenzen erwartbar?
  • Beobachten Sie eine zunehmende Radikalisierung von Positionen?

Wenn die Parolen und Unterstellungen unerträglich für Sie werden, können Sie selbstverständlich widersprechen oder sich deutlich distanzieren von Inhalten und Beschuldigungen. Sie müssen sich keineswegs selbst verleugnen und dürfen Ihre Meinung aussprechen. Versuchen Sie aber so lange wie möglich sachlich zu bleiben und denken Sie strategisch!

8. Psychische oder psychiatrische Auffälligkeiten

Ratsuchende berichten uns von der Theorie, dass der Wechsel der Weltanschauung, die damit einhergehende Persönlichkeitsveränderung sowie die neuen Verhaltensweisen durch eine psychische Erkrankung ausgelöst würden. Dies ist selbstverständlich nie auszuschließen. Allerdings gibt es eher wenige Fälle, in denen eine psychische Erkrankung verantwortlich ist für die radikalen Veränderungsprozesse. Und selbst wenn es so wäre: Ohne Einsicht und ohne die Bereitschaft, sich freiwillig untersuchen zu lassen, kommt man mit dieser Annahme nicht weiter.

Menschen verändern sich und nehmen "freiwillig", aus bester Überzeugung neue Sichtweisen an und gewöhnen sich Verhaltensweisen an, die andere nur als verrückt bezeichnen mögen. Unter bestimmten Bedingungen kann ein solcher Radikalisierungsprozess sogar sehr schnell und sehr tiefgreifend ablaufen. Psychisch auffällig oder gar krank ist ein Mensch deshalb noch lange nicht.

Auch dann, wenn psychische oder seelische Belastungen der jeweiligen Person erkennbar sind (oder wenn Sie selbst Rat und Unterstützung brauchen), empfehlen wir den Kontakt zu Beratungsstellen. Hier verfügt man über Hintergrundinformationen und hört Ihnen zu, wenn Sie sich Sorgen machen. Hier unterstützt man Sie und hilft bei der Bewertung der Fakten. Gemeinsam können Sie das weitere Vorgehen planen.

9. Sich um sich selbst kümmern und Beratung in Anspruch nehmen, wenn Ängste oder Wut, Vorwürfe und Verzweiflung einen selbst umtreiben.

Menschen verändern sich, lehnen mitunter das ab, wovon sie jahrelang überzeugt waren und nehmen vielleicht völlig entgegengesetzte Haltungen an und Überzeugung ein. Manche dieser neuen Ansichten sind wenig alltagstauglich oder klingen für Außenstehende sogar verrückt. Dies kann man bedauern, ist aber nur bedingt zu ändern. Natürlich kann man versuchen, den Anderen zu überzeugen. Genauso wichtig bleibt aber die Selbstfürsorge und die Einsicht, dass man die Dinge akzeptieren lernen muss, die man nicht ändern kann.

Wichtig bleibt bei allen Bemühungen und allen strategischen Planungen: Sie müssen es wollen und Sie müssen es sowohl psychisch als auch physisch können! Achten Sie auf Ihre eigenen Bedürfnisse und Kräfte! Schützen Sie Ihre eigenen Ressourcen!

Weitere Informationen und Tipps für den Umgang mit Menschen, die ihre Weltanschauung verändern und ein neues, ungewöhnliches Verhalten an den Tag legen, finden Sie hier in unserem InfoTipp 2.